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Der Herr vermarktet sich

von Franz Stowasser am 26. April 2015

Das macht ja sonst niemand für ihn. Also trägt sich der Herr selbst zu Markte und schreibt lange Texte für die Google Suchmaschine. Er hat gelesen, daß die Suchmaschine Texte von über 1000 Wörtern liebt. Der Crawler möchte viel lesen. Versteht nichts, vor allem keine Worte, will aber viele Wörter in vielen Zeilen auszählen. Früher hatte sich der Herr geweigert, einfach Zeilen zu produzieren und deshalb schon in der Schule oft schlechte Aufsatznoten bekommen. Aber die gutachtenden Lehrer von damals waren Menschen. Menschen, denen der junge Herr feindlich gesinnt sein konnte. Einem Robot, der Textlängen auszählt, kann der Herr nicht feindlich gesinnt oder böse sein. Deshalb gibt er dem Robot, dem Crawler, dem Spider, Zeilen zum Auszählen, Texte mit über tausend Wörtern.

Ein paar Bedenken schiebt der Herr zur Seite. Er will nicht darüber nachdenken, wie viel Ramsch geschrieben wird, nur, weil eine bestimmte Anzahl von Zeilen und Wörtern geschrieben werden soll. Weg mit dem Gedanken, der Herr will jetzt auch beim “MainStream” mit machen. Deshalb bedient er Suchmaschinen. Ein Mensch schreibt viele Wörter für eine Maschine. Diese Maschine zählt die Wörter und eben nicht die Worte, listet den menschlichen Verfasser dann als einen, der dem Bedürfnis der Maschine nach vielen Wörtern gefolgt ist. Ein guter Mensch, ein lieber Mensch, ein folgsamer Herr. Nach vielen Texten mit mehr als tausend Wörtern wird sich der Herr viel zitiert finden.

Die Aufmerksamkeit für die Texte des Herrn wird steigen. Die langen Texte werden oben in den Suchmaschinenlisten präsentiert. Auch, wenn andere Menschen gerne nur drei oder fünf Zeilen gelesen hätten, folgt der Herr lieber den Vorlieben der Maschinen. Diese bedient der Herr, auch wenn er dadurch seine Position als Herr einbüßen sollte. Er macht sich vor, daß er, wenn er die Maschinen, Crawler und Bots bedient, dennoch weiterhin Herr bleibt. Er weiß, daß diese Annahme paradox wirken kann, nimmt das in Kauf, weil er fürchtet, unerkannt und ohne Aufmerksamkeit leben und sterben zu müssen. Er will Anerkennung von der Google Suchmaschine. Ja, der Herr sehnt sich nach Liebe und die Liebe eines webcrawlers ist so schlecht nicht. Die Maschine stellt ja keine großen Ansprüche, nur über tausend Wörter pro Text und das ist leicht getan.

Der Herr freut sich schon jetzt darüber, wie herrlich er sich in seiner Herrlichkeit bestätigt finden wird, wenn eine Maschine auf seine Zeilen hinweist. Er liebt ab jetzt die Menge. Viel findet der Herr seit heute gut und mehr noch besser. Er will von allem mehr und ist bereit, die Suchmaschinen zu füttern. Nicht nur bereit, er ist geradezu versessen darauf. Kurze Texte werden ihm mehr, viel mehr und noch mehr zuwider, er will sich ausbreiten, Wörter frühlingshaft sprießen lassen und, falls nötig, auch neue Wörter dazu erfinden. Doch die Wörter können nicht ausgehen. Der Herr kann hunderte von Wörtern neu ordnen und damit den Eindruck neuer Texte erzeugen.

Er kann sich auch mit Wissenschaftlichkeit schmücken und auf längere Zitate zurückgreifen. Das wird er zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auch tun. Dann, wenn Zitate von den Suchmaschinen extra gut belohnt werden. Genau dann wartet der Herr mit einer Vielzahl von Zitaten auf, exakt gekennzeichnet und mit Verweisen versehen. Doch, bis dahin beschreibt sich der Herr selbst. Das fällt ihm leicht, denn er braucht ja nur seine Herrlichkeit leuchten lassen und dieses Leuchten in Wörter fassen. Er muß nicht viel tun, alles ist da, alles schon geschrieben, er muß höchstens abschreiben, die Wörter neu aufgreifen.
Aus Suchmaschinen werden Findemaschinen. Sie finden immer gleiche Wörter in neuen Konstellationen, formatiert als Texte und erregen sich bei über 1000 Wörtern. Eine feine Sache. Eine Findemaschine ist leicht glücklich zu machen. Sie findet gerne, was über 1000 Wörter hat und zeigt das Gefundene dann vor. Vielleicht sogar stolz? Oder wäre das zu viel Projektion? Der Herr hilft der Suchmaschine bei ihrem wichtigen Veränderungsschritt von der Suchmaschine zur Findemaschine, indem er ihr längere Texte anbietet. Texte, die sie leichter und lieber findet. Dabei ist sich der Herr sicher, daß 80% des längeren Textes nicht gelesen werden und findet gerade diesen Gedanken schön.

Viel Speicher will etwas zum Speichern. Kurze Texte werden vielleicht gerne von Menschen gelesen. Kleine Gedichte zum Beispiel. Als Anregungen für die Gedanken am Morgen, am Frühstückstisch, als Motto für einen Tag. Aber das Leseverhalten von Menschen kann nicht Entscheidungsbasis für Findemaschinen sein. Das Füllen von immer billiger werdendem Speicherplatz ist Entscheidungsbasis. Der Speicherraum wird gefüllt, mit mehr als tausend Wörtern. Volle Speicher helfen durch schlechte Zeiten. Wer weiß, vielleicht geht einmal der Lesestoff aus, dann sind wieder alle froh, in den Findemaschinen viele längere Texte zu entdecken. Diese Freuden fördert der Herr und schreibt schon heute viele Wörter in eine, vielleicht in Zukunft stattfindende Wörterknappheit. Dann können die Speicher geleert werden, die vielen Wörter werden von den Speicherbesitzer gewinnbringend vermarktet, den Wörterverlustigen zur Labung.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß Wörter in Zukunft verloren gehen? Der Herr meint: sehr hoch. Es werden ja schon jetzt viele Wörter weg gebachelort und gemastert, da bleibt nicht viel. Die Texte der Zukunft werden aus altbekannten Sätzen und Kurzfassungen bestehen. Dicke Bücher werden auf den “wirklichen” Inhalt reduziert und auf einer halben Seite schnell beschrieben. Abstacts werden auch von Abstracts die schon von Anfang an Abstracts waren gebildet. Das bedeutet einen ungeheuren Wörterverlust. Die EU Sitzungsprotokolle, dokumentierte Zertifizierungen, auch andere schriftlich fixierte Audits machen zwar einiges wett, können aber doch, für sich allein, die heute verfügbaren Speicherkapazitäten nicht mehr füllen.

Der Herr arbeitet aktiv an einer an Wörtern reichen Zukunft und füttert heute schon die kommenden Generationen der Lesemaschinen, der elektronischen Vorleser, begünstigt durch das Markieren von Absätzen auch die Bildung von Abstracts und fügt sogar ein kleines Abstract hier an: Dieser Text handelt in etwas über 1000 Wörtern von der Notwendigkeit, über tausend Wörter zu schreiben, um von Suchmaschinen besser gelistet zu werden. Der Text unterstellt dabei, daß ein gutes Listing in Suchmaschinen wichtig sei. In Zukunft geradezu seinsbegründend, will sich der Mensch im Suchmaschinenspiegel des Internets aus nicht weniger als tausend Wörtern schöpfen. Die Verwendung von Zitaten wird angekündigt und die Notwendigkeit, für die Zukunft Wörterspeicher in Findemaschinen zu füllen, wird eingehend diskutiert.

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Der Herr hatte die ersten Zeilen

mit einer Feder geschrieben, drehte die Feder, um zu einer etwas dünneren Schrift zu kommen, Nun sah er das schwarze Teil der Feder, wie ein Käfer bewegte es sich im Schreibfluß über das Papier. Zu saugfähig, etwas zu saugfähig, das Papier, von dem er 2500 Seiten billig im Internetshop gekauft hatte. Federwechsel. Mit dem kleinen, leichten Füller, der feinen, zarten Schrift fühlte sich der Herr wohler. Und verbarg doch, was er hatte schreiben wollen. Noch vor 10 Minuten hatte er vor gehabt, das aufzuschreiben, noch nach dem Rasieren, immer mit dem elektrischen Apparat nach Gefühl erledigt, in den Spiegel sehend, um Rasierwasser auf zu klopfen. Auf Wangen und Hals aufklopfen, nicht einmassieren. Sein Vater hatte so geklopft. Morgens, als der junge Herr noch im Bett lag, weil er zur Schule erst später aufzustehen hatte. Fragte sich, weshalb der Vater klopfte. Vielleicht, weil Parfum aufzutragen keine männliche Sache war, als weiblich galt. Deshalb wurde Rasierwasser eingeklopft, in die Haut geschlagen.
Vor dem Spiegel hatte er sich dazu überredet gehabt, darüber zu schreiben. Nach einigem Hin und Her, nach einigen Diskussionen mit sich selbst. Er hatte sich mit dem Gedanken dazu überredet, daß den Text doch niemand lesen würde, außer ihm und daß er nichts zu verstecken brauchte. Noch im Bad, vor dem Spiegel war er ganz sicher gewesen, hatte den Text im Kopf, wußte exakt, wie es zu schreiben war, kannte jedes Wort. Dort, vor dem Spiegel waren es viele Worte gewesen. Als er aus dem Badezimmer gegangen war, um sich anzukleiden, gingen einige Worte verloren, auch auf dem Weg zum Schreibtisch. Und, als er schließlich am Tisch saß, die Morgensonne wärmte schon durch die Fenster, waren alle Worte weg.

 

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