er findet nicht die Freiheit. Hatte die Freiheit auch nicht mehr gesucht, als er erkannte, dass er sich mit der Suche nach der Freiheit in ein Gefängnis eingeschlossen hatte. Die eine, richtige, wirkliche Freiheit suchen und finden wollen, das war eine Reduktion der Möglichkeiten zum, als Ideal phantasierten, einen Punkt. Der Herr wunderte sich darüber, dass er so viele Jahre das Spiel mit Einzahl und Mehrzahl nicht gesehen oder gehört hatte. Die Freiheit, also diese eine Freiheit, die richtige Freiheit war ein unerreichbares Konstrukt, in sich so widersprüchlich, weil diese eine Freiheit eine, die Richtigkeit definierende Autorität voraussetzte, der doch an Freiheit nicht gelegen sein konnte, sondern an Hierarchie zur Erhaltung der Autorität. Der Herr fühlte sich erleichtert, als er anstatt an die Freiheit, die Möglichkeit, die Wirkung, die Welt, die Logik, vielmehr Freiheiten, Möglichkeiten, Wirkungen, Welten, Logiken dachte.
Soweit der Beitrag des Herrn, jetzt folgen noch circa 750 Wörter für die Suchmaschinen. Viele Suchmaschinen bevorzugen Texte, die über tausend Wörter beinhalten. Der Herr liefert diese Wörter, denn er hat bei früheren Wörterlieferungen schon erfahren, dass sich interessante Aussichten auftun, wenn anfangs etwas knapp gehaltene Thesen weiter ausformuliert werden. Die Freiheit, in ihrer Einzahl gesucht, kann nicht gefunden, nur phantasiert werden. Vielleicht kann jede Einzahl nur phantasiert werden. Ein Punkt an einem nicht näher bestimmten Ort ruft sofort sein Gegenteil, die Linie auf, oder verschwindet, negiert sich in seinem Gegenteil. Als ein Punkt kann er nicht bleiben, bildet immer Differenzen zu irgend etwas anderem. So auch die Freiheit, auch sie kann nicht allein für sich bleiben, ruft ihre Gegenteile in Mehrzahlen auf, wird zu vielen Freiheiten oder eingeschlossen, gefangen in anderen Negationen.
Jaques Derrida hatte einst danach gefragt, was vor der Frage sei. Bevor der Herr seine Frage nach der Freiheit stellen konnte, hatte er sich mit einigen Gegenteilen der Freiheit bekannt gemacht. Diese haben ihm vielleicht nicht sehr gefallen und er fragte nach der Freiheit. Da noch unwissend darüber, wie sehr er sich
mit der Frage nach einer Freiheit, nach der (richtigen) Freiheit wieder in deren Gegenteile begibt. Unfreiheit wollte er gerade hinter sich lassen und schon grinst sie ihm wieder direkt ins Gesicht. Er kann damit umgehen, indem er nach Freiheiten in der Mehrzahl fragt. Erleichtert erkannte der Herr dann auch, dass er viele Freiheiten genießen konnte und schätzte sich glücklich. Kaum war er seinen Fokus auf die richtige Freiheit los, hatte er Freiheiten gewonnen, sich anderweitig frei zu denken. Aus dem Diktat der Richtigkeit hatte er sich gleich mit befreit. Wer hätte wohl diese richtige Freiheit für den Herrn definiert? Nicht eine Person allein. Viele Personen hätten sich gemeldet und den Herrn mit richtigen Definitionen des Wortes Freiheit versorgen wollen. So wäre auch da die eine, die eine richtige Freiheit bereits unmöglich geworden. Mit Gewalt hätte der Starke vielleicht seine Definition der Freiheit, nämlich der Freiheit des Stärkeren so lange durchsetzen können, bis ein noch stärkerer mit einer anderen Definition genau das verhindert hätte. Wendet nun dieser Stärkste aller Definierer des Wortes Freiheit seine Definition auch auf sich selbst an?
Wohl kaum, denn er endet sonst wie der Ringer in der Monty Python Show, der alle anderen Ringer besiegt hatte und nun gegen sich selbst kämpft. Führt also die Sehnsucht nach der einen, richtigen Definition zunächst zur Unterdrückung durch Stärkere, dann zu deren Selbstvernichtung? Und bekommen wir das nur nicht mit, weil bislang immer noch ein Stärkerer im Ring erschienen war, der seine Definition durchzukämpfen verstand? Die Idee des Wettbewerbs lebt davon, immer neue Siege zu feiern, dabei kann daran nichts Neues sein. Damit aber der Wiederholungscharakter dieser Wettbewerbsveranstaltungen nicht so auffällt, werden sie jeweils mit “Neuigkeiten” garniert und als “das Beste” serviert. Das Beste kann es nicht geben, denn es behauptet Eines zu sein und lebt doch nur aus der Abgrenzung zu den Zweit-, Dritt-, Viertbesten. Das Beste kann sich auch nicht selbst feiern, braucht die Perspektiven des Schlechteren. Die Medien bieten uns dieses Spektakel täglich als “das Neuste” an und der Herr erspart den Leserinnen und Lesern, die bis hierher mit gewörtert haben, auch noch “das Neuste” in seiner Abhängigkeit zum Älteren und in seinem Sterben, seinem zitternden Erwarten des kommenden “Allerneusten” zu beschreiben.
Statt: “Das Spiel mit der Mehrzahl” nun also Spiele mit Mehrzahlen. Der Herr wollte jedoch nicht mehr zahlen. Noch mehr Zahlen verwirrten ihn und er dachte, das sei ein Grund gewesen, dass er sich für die Einzahl entschieden hatte. Einzahlen auf sein Konto der schleichenden Verdummung, das er stark und kampfbereit zu verteidigen bereit war. Das Konto der schleichenden Verdummung war dem Herrn zuwider geworden. Je dümmer es wurde, desto lauter und eindimensionaler gebärdete es sich. Es wollte allen Welten seine Einzigartigkeit in seiner realen Existenz zeigen. Nur der Fakt, dass es da war, sollte noch gelten. Laut, fordernd und drohend machte das Konto der schleichenden Verdummung auf sich aufmerksam und verlangte, der Herr solle noch mehr darauf einzahlen. So war das Konto prall, dick und fett geworden, breiter auch und nahm immer mehr Platz ein, wollte sich noch mehr ausbreiten um seine Existenz jede Sekunde bewiesen zu sehen. Immer mehr, immer schnellere Einzahlungen wollte das Konto, wollte erst tägliche, dann stündliche, dann dauernde Bestätigung.
Paradoxer Weise gewann es mit seinem Wachstum nicht an Sicherheit, wurde im Gegenteil immer unsicherer darin, ob es auch noch das stärkste, größte und meist beachtete Konto der schleichenden Verdummung war. Wollte seine Einzigartigkeit jede Sekunde von den nicht Einzigartigen bestätigt sehen. Und zweifelte mit den häufiger werdenden Bestätigungen, die doch nur von anderen, von nicht Einzigartigen erfolgen konnten, immer mehr an der Aufrichtigkeit dieser Bestätigungen. Es fühlte
si
ch bestätigt, aber noch mehr betrogen. Es gab ja keine richtige Bestätigung, konnte keine geben, denn die hätte von einer anderen Einzigartigkeit kommen müssen. Das aber wäre das Ende der Einzigartigkeit des Kontos der schleichenden Verdummung gewesen. Eine andere Einzigartigkeit sollte es nie und nimmer geben. Dann lieber leiden und sich mit dem schweren Los dauernder Benachteiligung abfinden. Es liegt im Schicksal des Einzigartigen, von allen anderen betrogen zu werden. Deshalb war das Konto der schleichenden Verdummung auch immer auf der Hut, sehr wachsam, rüstete sich und schützte sich vor den Betrugsversuchen, die überall lauerten. Manchmal war es erschöpft, schlief auch schlecht, weil es meinte, vielleicht einen Betrugsversuch, oder, noch viel schlimmer, das Heranwachsen eines anderen Einzigartigen übersehen zu haben.
Franz Stowasser, 2015