Glaubenssätze

Neulich

traf ich einen alten Freund in einem Internet-Cafe in Berlin. Zunächst erinnerte ihn das Bild, das er sich von mir durch seine tränenden Augen machte, nicht an den, der ich einst war. Doch dann, nach einiger Zeit und ein paar reboots hat er mich doch erkannt und gelächelt. Etwas müde gelächelt und auf meine Frage, was den anstünde, geantwortet: „das Internet hat mich verloren“. Ja was, dieses weltweite Datennetz, das doch alle und jeden erfasst, das in den keywordclouds auch den kleinsten Kaufwunsch aufspürt, das soll Dich verloren haben? „Ja“, sagte er, „das Netz muss Löcher haben und durch eines bin ich gerutscht.“ Das war mir neu, das Internet soll Löcher haben, konnte ich mir nicht vorstellen. Sofort tippte ich meinen Namen in die Suchmaschine und, Gott sei Dank, es gab noch Nennungen, weniger zwar als noch vor einer Woche, aber es gab noch Nennungen. Doch, bei genauem Hinsehen viel weniger Nennungen als noch vor einigen Wochen. Was, wenn dieser Trend anhielt, was, wenn die Suchmaschine einfach immer mehr Nennungen tilgt, einfach raus fallen lässt, was, wenn es einst nicht einmal mehr ein Loch braucht und ich einfach durch die Maschen falle? Gibt’s da schon eine Selbsthilfegruppe? Ich hab‘ eine ganz neue und sehr zeitgemäße Neurose entwickelt: „Netzverlust“. Fische freuen sich wahrscheinlich, wenn sie durch ein Loch im Fangnetz schlüpfen können, noch einmal in die Freiheit. Ich nicht, denn wer garantiert mir, dass außerhalb des Internet so was wie Freiheit existiert, vielleicht ist da alles immer dunkel und mich gibt es dann nicht mehr. Ich fasste den Freund bei den Schultern um zu spüren, dass er noch existiere. Er war noch da, aber innerlich schon etwas hohl, fast hätte ich durchgreifen können.

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