Der Herr findet eine Freiheit mehr,
er findet nicht die Freiheit. Hatte die Freiheit auch nicht mehr gesucht, als er erkannte, dass er sich mit der Suche nach der Freiheit in ein Gefängnis eingeschlossen hatte. Die eine, richtige, wirkliche Freiheit suchen und finden wollen, das war eine Reduktion der Möglichkeiten zum, als Ideal phantasierten, einen Punkt. Der Herr wunderte sich darüber, dass er so viele Jahre das Spiel mit Einzahl und Mehrzahl nicht gesehen oder gehört hatte. Die Freiheit, also diese eine Freiheit, die richtige Freiheit war ein unerreichbares Konstrukt, in sich so widersprüchlich, weil diese eine Freiheit eine, die Richtigkeit definierende Autorität voraussetzte, der doch an Freiheit nicht gelegen sein konnte, sondern an Hierarchie zur Erhaltung der Autorität. Der Herr fühlte sich erleichtert, als er anstatt an die Freiheit, die Möglichkeit, die Wirkung, die Welt, die Logik, vielmehr Freiheiten, Möglichkeiten, Wirkungen, Welten, Logiken dachte.
Soweit der Beitrag des Herrn, jetzt folgen noch circa 750 Wörter für die Suchmaschinen. Viele Suchmaschinen bevorzugen Texte, die über tausend Wörter beinhalten. Der Herr liefert diese Wörter, denn er hat bei früheren Wörterlieferungen schon erfahren, dass sich interessante Aussichten auftun, wenn anfangs etwas knapp gehaltene Thesen weiter ausformuliert werden. Die Freiheit, in ihrer Einzahl gesucht, kann nicht gefunden, nur phantasiert werden. Vielleicht kann jede Einzahl nur phantasiert werden. Ein Punkt an einem nicht näher bestimmten Ort ruft sofort sein Gegenteil, die Linie auf, oder verschwindet, negiert sich in seinem Gegenteil. Als ein Punkt kann er nicht bleiben, bildet immer Differenzen zu irgend etwas anderem. So auch die Freiheit, auch sie kann nicht allein für sich bleiben, ruft ihre Gegenteile in Mehrzahlen auf, wird zu vielen Freiheiten oder eingeschlossen, gefangen in anderen Negationen.
Jaques Derrida hatte einst danach gefragt, was vor der Frage sei. Bevor der Herr seine Frage nach der Freiheit stellen konnte, hatte er sich mit einigen Gegenteilen der Freiheit bekannt gemacht. Diese haben ihm vielleicht nicht sehr gefallen und er fragte nach der Freiheit. Da noch unwissend darüber, wie sehr er sich
mit der Frage nach einer Freiheit, nach der (richtigen) Freiheit wieder in deren Gegenteile begibt. Unfreiheit wollte er gerade hinter sich lassen und schon grinst sie ihm wieder direkt ins Gesicht. Er kann damit umgehen, indem er nach Freiheiten in der Mehrzahl fragt. Erleichtert erkannte der Herr dann auch, dass er viele Freiheiten genießen konnte und schätzte sich glücklich. Kaum war er seinen Fokus auf die richtige Freiheit los, hatte er Freiheiten gewonnen, sich anderweitig frei zu denken. Aus dem Diktat der Richtigkeit hatte er sich gleich mit befreit. Wer hätte wohl diese richtige Freiheit für den Herrn definiert? Nicht eine Person allein. Viele Personen hätten sich gemeldet und den Herrn mit richtigen Definitionen des Wortes Freiheit versorgen wollen. So wäre auch da die eine, die eine richtige Freiheit bereits unmöglich geworden. Mit Gewalt hätte der Starke vielleicht seine Definition der Freiheit, nämlich der Freiheit des Stärkeren so lange durchsetzen können, bis ein noch stärkerer mit einer anderen Definition genau das verhindert hätte. Wendet nun dieser Stärkste aller Definierer des Wortes Freiheit seine Definition auch auf sich selbst an?
Wohl kaum, denn er endet sonst wie der Ringer in der Monty Python Show, der alle anderen Ringer besiegt hatte und nun gegen sich selbst kämpft. Führt also die Sehnsucht nach der einen, richtigen Definition zunächst zur Unterdrückung durch Stärkere, dann zu deren Selbstvernichtung? Und bekommen wir das nur nicht mit, weil bislang immer noch ein Stärkerer im Ring erschienen war, der seine Definition durchzukämpfen verstand? Die Idee des Wettbewerbs lebt davon, immer neue Siege zu feiern, dabei kann daran nichts Neues sein. Damit aber der Wiederholungscharakter dieser Wettbewerbsveranstaltungen nicht so auffällt, werden sie jeweils mit “Neuigkeiten” garniert und als “das Beste” serviert. Das Beste kann es nicht geben, denn es behauptet Eines zu sein und lebt doch nur aus der Abgrenzung zu den Zweit-, Dritt-, Viertbesten. Das Beste kann sich auch nicht selbst feiern, braucht die Perspektiven des Schlechteren. Die Medien bieten uns dieses Spektakel täglich als “das Neuste” an und der Herr erspart den Leserinnen und Lesern, die bis hierher mit gewörtert haben, auch noch “das Neuste” in seiner Abhängigkeit zum Älteren und in seinem Sterben, seinem zitternden Erwarten des kommenden “Allerneusten” zu beschreiben.
Statt: “Das Spiel mit der Mehrzahl” nun also Spiele mit Mehrzahlen. Der Herr wollte jedoch nicht mehr zahlen. Noch mehr Zahlen verwirrten ihn und er dachte, das sei ein Grund gewesen, dass er sich für die Einzahl entschieden hatte. Einzahlen auf sein Konto der schleichenden Verdummung, das er stark und kampfbereit zu verteidigen bereit war. Das Konto der schleichenden Verdummung war dem Herrn zuwider geworden. Je dümmer es wurde, desto lauter und eindimensionaler gebärdete es sich. Es wollte allen Welten seine Einzigartigkeit in seiner realen Existenz zeigen. Nur der Fakt, dass es da war, sollte noch gelten. Laut, fordernd und drohend machte das Konto der schleichenden Verdummung auf sich aufmerksam und verlangte, der Herr solle noch mehr darauf einzahlen. So war das Konto prall, dick und fett geworden, breiter auch und nahm immer mehr Platz ein, wollte sich noch mehr ausbreiten um seine Existenz jede Sekunde bewiesen zu sehen. Immer mehr, immer schnellere Einzahlungen wollte das Konto, wollte erst tägliche, dann stündliche, dann dauernde Bestätigung.
Paradoxer Weise gewann es mit seinem Wachstum nicht an Sicherheit, wurde im Gegenteil immer unsicherer darin, ob es auch noch das stärkste, größte und meist beachtete Konto der schleichenden Verdummung war. Wollte seine Einzigartigkeit jede Sekunde von den nicht Einzigartigen bestätigt sehen. Und zweifelte mit den häufiger werdenden Bestätigungen, die doch nur von anderen, von nicht Einzigartigen erfolgen konnten, immer mehr an der Aufrichtigkeit dieser Bestätigungen. Es fühlte
si
ch bestätigt, aber noch mehr betrogen. Es gab ja keine richtige Bestätigung, konnte keine geben, denn die hätte von einer anderen Einzigartigkeit kommen müssen. Das aber wäre das Ende der Einzigartigkeit des Kontos der schleichenden Verdummung gewesen. Eine andere Einzigartigkeit sollte es nie und nimmer geben. Dann lieber leiden und sich mit dem schweren Los dauernder Benachteiligung abfinden. Es liegt im Schicksal des Einzigartigen, von allen anderen betrogen zu werden. Deshalb war das Konto der schleichenden Verdummung auch immer auf der Hut, sehr wachsam, rüstete sich und schützte sich vor den Betrugsversuchen, die überall lauerten. Manchmal war es erschöpft, schlief auch schlecht, weil es meinte, vielleicht einen Betrugsversuch, oder, noch viel schlimmer, das Heranwachsen eines anderen Einzigartigen übersehen zu haben.
Franz Stowasser, 2015
Der Herr vermarktet sich
Das macht ja sonst niemand für ihn. Also trägt sich der Herr selbst zu Markte und schreibt lange Texte für die Google Suchmaschine. Er hat gelesen, daß die Suchmaschine Texte von über 1000 Wörtern liebt. Der Crawler möchte viel lesen. Versteht nichts, vor allem keine Worte, will aber viele Wörter in vielen Zeilen auszählen. Früher hatte sich der Herr geweigert, einfach Zeilen zu produzieren und deshalb schon in der Schule oft schlechte Aufsatznoten bekommen. Aber die gutachtenden Lehrer von damals waren Menschen. Menschen, denen der junge Herr feindlich gesinnt sein konnte. Einem Robot, der Textlängen auszählt, kann der Herr nicht feindlich gesinnt oder böse sein. Deshalb gibt er dem Robot, dem Crawler, dem Spider, Zeilen zum Auszählen, Texte mit über tausend Wörtern.
Ein paar Bedenken schiebt der Herr zur Seite. Er will nicht darüber nachdenken, wie viel Ramsch geschrieben wird, nur, weil eine bestimmte Anzahl von Zeilen und Wörtern geschrieben werden soll. Weg mit dem Gedanken, der Herr will jetzt auch beim “MainStream” mit machen. Deshalb bedient er Suchmaschinen. Ein Mensch schreibt viele Wörter für eine Maschine. Diese Maschine zählt die Wörter und eben nicht die Worte, listet den menschlichen Verfasser dann als einen, der dem Bedürfnis der Maschine nach vielen Wörtern gefolgt ist. Ein guter Mensch, ein lieber Mensch, ein folgsamer Herr. Nach vielen Texten mit mehr als tausend Wörtern wird sich der Herr viel zitiert finden.
Die Aufmerksamkeit für die Texte des Herrn wird steigen. Die langen Texte werden oben in den Suchmaschinenlisten präsentiert. Auch, wenn andere Menschen gerne nur drei oder fünf Zeilen gelesen hätten, folgt der Herr lieber den Vorlieben der Maschinen. Diese bedient der Herr, auch wenn er dadurch seine Position als Herr einbüßen sollte. Er macht sich vor, daß er, wenn er die Maschinen, Crawler und Bots bedient, dennoch weiterhin Herr bleibt. Er weiß, daß diese Annahme paradox wirken kann, nimmt das in Kauf, weil er fürchtet, unerkannt und ohne Aufmerksamkeit leben und sterben zu müssen. Er will Anerkennung von der Google Suchmaschine. Ja, der Herr sehnt sich nach Liebe und die Liebe eines webcrawlers ist so schlecht nicht. Die Maschine stellt ja keine großen Ansprüche, nur über tausend Wörter pro Text und das ist leicht getan.
Der Herr freut sich schon jetzt darüber, wie herrlich er sich in seiner Herrlichkeit bestätigt finden wird, wenn eine Maschine auf seine Zeilen hinweist. Er liebt ab jetzt die Menge. Viel findet der Herr seit heute gut und mehr noch besser. Er will von allem mehr und ist bereit, die Suchmaschinen zu füttern. Nicht nur bereit, er ist geradezu versessen darauf. Kurze Texte werden ihm mehr, viel mehr und noch mehr zuwider, er will sich ausbreiten, Wörter frühlingshaft sprießen lassen und, falls nötig, auch neue Wörter dazu erfinden. Doch die Wörter können nicht ausgehen. Der Herr kann hunderte von Wörtern neu ordnen und damit den Eindruck neuer Texte erzeugen.
Er kann sich auch mit Wissenschaftlichkeit schmücken und auf längere Zitate zurückgreifen. Das wird er zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auch tun. Dann, wenn Zitate von den Suchmaschinen extra gut belohnt werden. Genau dann wartet der Herr mit einer Vielzahl von Zitaten auf, exakt gekennzeichnet und mit Verweisen versehen. Doch, bis dahin beschreibt sich der Herr selbst. Das fällt ihm leicht, denn er braucht ja nur seine Herrlichkeit leuchten lassen und dieses Leuchten in Wörter fassen. Er muß nicht viel tun, alles ist da, alles schon geschrieben, er muß höchstens abschreiben, die Wörter neu aufgreifen.
Aus Suchmaschinen werden Findemaschinen. Sie finden immer gleiche Wörter in neuen Konstellationen, formatiert als Texte und erregen sich bei über 1000 Wörtern. Eine feine Sache. Eine Findemaschine ist leicht glücklich zu machen. Sie findet gerne, was über 1000 Wörter hat und zeigt das Gefundene dann vor. Vielleicht sogar stolz? Oder wäre das zu viel Projektion? Der Herr hilft der Suchmaschine bei ihrem wichtigen Veränderungsschritt von der Suchmaschine zur Findemaschine, indem er ihr längere Texte anbietet. Texte, die sie leichter und lieber findet. Dabei ist sich der Herr sicher, daß 80% des längeren Textes nicht gelesen werden und findet gerade diesen Gedanken schön.
Viel Speicher will etwas zum Speichern. Kurze Texte werden vielleicht gerne von Menschen gelesen. Kleine Gedichte zum Beispiel. Als Anregungen für die Gedanken am Morgen, am Frühstückstisch, als Motto für einen Tag. Aber das Leseverhalten von Menschen kann nicht Entscheidungsbasis für Findemaschinen sein. Das Füllen von immer billiger werdendem Speicherplatz ist Entscheidungsbasis. Der Speicherraum wird gefüllt, mit mehr als tausend Wörtern. Volle Speicher helfen durch schlechte Zeiten. Wer weiß, vielleicht geht einmal der Lesestoff aus, dann sind wieder alle froh, in den Findemaschinen viele längere Texte zu entdecken. Diese Freuden fördert der Herr und schreibt schon heute viele Wörter in eine, vielleicht in Zukunft stattfindende Wörterknappheit. Dann können die Speicher geleert werden, die vielen Wörter werden von den Speicherbesitzer gewinnbringend vermarktet, den Wörterverlustigen zur Labung.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß Wörter in Zukunft verloren gehen? Der Herr meint: sehr hoch. Es werden ja schon jetzt viele Wörter weg gebachelort und gemastert, da bleibt nicht viel. Die Texte der Zukunft werden aus altbekannten Sätzen und Kurzfassungen bestehen. Dicke Bücher werden auf den “wirklichen” Inhalt reduziert und auf einer halben Seite schnell beschrieben. Abstacts werden auch von Abstracts die schon von Anfang an Abstracts waren gebildet. Das bedeutet einen ungeheuren Wörterverlust. Die EU Sitzungsprotokolle, dokumentierte Zertifizierungen, auch andere schriftlich fixierte Audits machen zwar einiges wett, können aber doch, für sich allein, die heute verfügbaren Speicherkapazitäten nicht mehr füllen.
Der Herr arbeitet aktiv an einer an Wörtern reichen Zukunft und füttert heute schon die kommenden Generationen der Lesemaschinen, der elektronischen Vorleser, begünstigt durch das Markieren von Absätzen auch die Bildung von Abstracts und fügt sogar ein kleines Abstract hier an: Dieser Text handelt in etwas über 1000 Wörtern von der Notwendigkeit, über tausend Wörter zu schreiben, um von Suchmaschinen besser gelistet zu werden. Der Text unterstellt dabei, daß ein gutes Listing in Suchmaschinen wichtig sei. In Zukunft geradezu seinsbegründend, will sich der Mensch im Suchmaschinenspiegel des Internets aus nicht weniger als tausend Wörtern schöpfen. Die Verwendung von Zitaten wird angekündigt und die Notwendigkeit, für die Zukunft Wörterspeicher in Findemaschinen zu füllen, wird eingehend diskutiert.
Der Herr hatte die ersten Zeilen
mit einer Feder geschrieben, drehte die Feder, um zu einer etwas dünneren Schrift zu kommen, Nun sah er das schwarze Teil der Feder, wie ein Käfer bewegte es sich im Schreibfluß über das Papier. Zu saugfähig, etwas zu saugfähig, das Papier, von dem er 2500 Seiten billig im Internetshop gekauft hatte. Federwechsel. Mit dem kleinen, leichten Füller, der feinen, zarten Schrift fühlte sich der Herr wohler. Und verbarg doch, was er hatte schreiben wollen. Noch vor 10 Minuten hatte er vor gehabt, das aufzuschreiben, noch nach dem Rasieren, immer mit dem elektrischen Apparat nach Gefühl erledigt, in den Spiegel sehend, um Rasierwasser auf zu klopfen. Auf Wangen und Hals aufklopfen, nicht einmassieren. Sein Vater hatte so geklopft. Morgens, als der junge Herr noch im Bett lag, weil er zur Schule erst später aufzustehen hatte. Fragte sich, weshalb der Vater klopfte. Vielleicht, weil Parfum aufzutragen keine männliche Sache war, als weiblich galt. Deshalb wurde Rasierwasser eingeklopft, in die Haut geschlagen.
Vor dem Spiegel hatte er sich dazu überredet gehabt, darüber zu schreiben. Nach einigem Hin und Her, nach einigen Diskussionen mit sich selbst. Er hatte sich mit dem Gedanken dazu überredet, daß den Text doch niemand lesen würde, außer ihm und daß er nichts zu verstecken brauchte. Noch im Bad, vor dem Spiegel war er ganz sicher gewesen, hatte den Text im Kopf, wußte exakt, wie es zu schreiben war, kannte jedes Wort. Dort, vor dem Spiegel waren es viele Worte gewesen. Als er aus dem Badezimmer gegangen war, um sich anzukleiden, gingen einige Worte verloren, auch auf dem Weg zum Schreibtisch. Und, als er schließlich am Tisch saß, die Morgensonne wärmte schon durch die Fenster, waren alle Worte weg.
No problem?
Neulich im Restaurant:
Ich: Bitte bringen Sie mir bitte ein Mineralwasser mit Kohlensäure.
Er: Easy.
Ich: Was „easy“?
Er: Ah sorry – kein Problem.
Ich: Falsche Antwort.
Er: Was?
Ich: Ich habe nicht gefragt, ob es ein Problem ist, mir ein Wasser zu bringen. Ich habe Sie lediglich darum gebeten, mir eines zu bringen.
Er: Eben.
Ich: Eben was?
Er: Kein Problem.
Ich: Falsche Antwort.
Er: Wieso?
Ich: Sie könnten zum Beispiel sagen: „Gern.“ Oder: „Sofort.“ Das tönt einfach besser.
Er: Und wenn ich es gar nicht gern machen würde?
Ich: Dann hätten Sie ein Problem.
Er: Weshalb?
Ich: Dann wären Sie am falschen Ort.
Er: Drum habe ich ja gesagt: „Kein Problem.“
Ich: Aha. Dann bringen Sie mir jetzt bitte ein Mineral mit Kohlesäure?
Er: Okee.
Ich: Falsche Antwort.
Er geht ab.
Ich geh raus.
. . . . .
Konklusion:
Charmante Formeln wie „Nichts zu danken“ oder „Keine Ursache“ wirken scheinbar verstaubt und werden vom jugendsprachlichen „Kein Problem“ oder Manager-Dummdeutsch „Kein Thema“ weggefegt.
Die moderne Umgangssprache ist – wahrscheinlich ohne es zu wollen – Chef im Abservieren geworden.
Jämmerliche Politiker
Jeden Tag lächelt zur Zeit eine Politikerin oder ein Politiker aus meinem Briefkasten. Menschen, die um mich werben, weil sie später meine Interessen wahrnehmen wollen. Doch wie soll ich jemanden wählen, der nicht einmal den „Bitte keine Werbung“-Kleber respektiert? Der mein Bedürfnis nicht ernst nimmt?
Sie machen es mir einfach: Alle diese Flyers und Broschüürlis lege ich jetzt zum Wahlcouvert und werde genau darauf achten, dass deren Name NICHT auf meinem Zettel stehen wird.
Dokumentationswut
1996 bezahlte ich für einen 2500 Gramm schweren 4.5 Gigabyte Seagate Drive (externer Speicher mit eingebautem Ventilator) rund 5000 Franken. Heute sitzt in der GoPro-Kamera ein 2 Gramm leichter Micro SD Chip, der über eine Kapazität von 64 Gigabyte verfügt und 50 Franken kostet. In den letzten Jahren haben sich die Speichermöglichkeiten exponentiell nach oben und die Preise entsprechend nach unten entwickelt. Technisch gesehen fast ein Wunder, sozial gesehen eine ziemliche Katastrophe.
Diese Möglichkeiten haben dazu geführt, dass heutzutage jeder Furz dokumentiert wird. Gibt es noch Snowboarder, Radfahrer, Piloten, Surfer, Gärtner, Fallschirmspringer, Hooligans, Autofahrer, Taucher, Eltern oder Kinder, die nicht das Gefühl haben, alles für die Nachwelt aufzeichnen zu müssen? So viel Nonsens wird gespeichert. Und irgendwer wird dann vergewaltigt, das langfädige und meist ungeschnittene Zeugs anzuschauen und zu bewundern. „Wart, wart, gleich kommt’s…!“ heisst es in Bars, Zugabteilen, auf Pausenplätzen und an Familientischen. Alle starren auf einen zu kleinen Bildschirm und können es kaum erwarten, gleich danach mit ihren eigenen Beiträgen zu glänzen. Alle machen mit, niemanden interessiert es.
Wer die Welt aus der Perspektive einer Französischen Bulldogge spannend findet, ist selber schuld.
Wir warten
Wir jammern über Gewalttaten, die im Namen eines Glaubens verübt werden. Der Glaube würde als Deckmantel für das Böse gebraucht, so ist zu lesen und wahrer Glaube brauche keine Gewalt. Wahrer Glaube reflektiere die Einsicht in das Richtige. Nur, was das Richtige sei, darüber besteht seit Jahrtausenden keine Einigkeit. Vielleicht spaltet die Frage nach dem Richtigen schon die Fragewelt in falsch und richtig, erzeugt also Uneinigkeit, Zank und Streit. Das wird dann wieder zur Glaubensfrage und das Spiel startet erneut. Wir können vor allem die Versuche bejammern, dieses selbst erschaffene Dilemma autoritär und mit Gewalt zu lösen. In unserem Jammer tun wir dann so, als seien diese Unwissenden, die sich gegenseitig abschlachten zu bedauern, wir jedoch wüssten, wie ES anders zu machen wäre. Wissen wir’s? Und, bringen wir unser Wissen morgen oder übermorgen zur Anwendung?
Ein jämmerliches Verkaufsgespräch
ICH: Guten Tag, ich habe eine Frage: Was ist der Unterschied zwischen dieser Sony Cybershot für 145 Franken und dieser ähnlich grossen Lumix für 445 Franken?
ER: Es ist ein ganz anderer Preis, eine andere Liga.
ICH: Ja, das sehe ich. Und was macht den Unterschied?
ER: Die Qualität.
ICH: Also was genau?
ER: Die Qualität der Fotos.
ICH: Und wie wirkt sich das aus?
ER: Hier hinten auf dem Display. Der Bildschirm der Lumix ist grösser.
ICH: Ach so. Und deshalb kostet die Lumix dreimal mehr?
ER: Nein.
ICH: Weshalb dann?
ER: Weil – wenn Sie die Fotos auf A4 ausdrucken, sind sie schärfer.
ICH: Ich drucke nie auf A4 aus.
ER: Trotzdem.
ICH: Beide bieten doch eine ähnliche Auflösung mit rund 18 Megapixel und ein optisches Zoom…
ER: Trotzdem. Die Lumix ist einfach besser.
ICH: Hmmm. Ok – dann nehme ich die Cybershot.
ER: Ich schaue, ob wir noch eine haben.
ICH: (warte)
ER: Wir haben keine mehr hier.
ICH: Schade.
ER: Es gibt nur noch dieses Ausstellungsteil.
ICH: Ah – und wie viel Rabatt gewähren Sie in dem Fall?
ER: Was Rabatt?
ICH: Einen günstigeren Preis, weil die Kamera nicht neu ist und Gebrauchsspuren aufweist.
ER: Nein, das machen wir nicht.
ICH: Schade.
ER: Wenn Sie sie jetzt kaufen…
ICH: Ja? Was dann?
ER: Dann packe ich sie jetzt ein.
ICH: Und geben mir einen Rabatt?
ER: Nein, das machen wir nicht.
ICH: Dann nehme ich sie nicht.
ER: Gut.
ICH : Was „gut“?
ER: Ich wusste nicht, was sagen.
ICH: Das habe ich die ganze Zeit gedacht.
ER: Was?
ICH: (schüttle den Kopf, lasse ihn in seinem weissen Hemd mit Namensschild stehen und gehe an die frische Luft)
Reif für die Insel
Reif für die Insel – schnell mal gesagt. Und wie bitte genau gemeint? Oder was gemeint? Ein semantisches Minenfeld tut sich auf. Wer „die Insel“ allerdings als Lebensmodell und nicht als stehenden Begriff betrachtet, wird sie plötzlich nicht mehr nur als willkommenen Fluchtort, sondern auch als persönliches Abgrenzungswerkzeug wahrnehmen. Das generiert einen grossen Nutzen für sich selbst und das Umfeld – dank Lockerheit und Sympathie.
An heissen Sommertagen und natürlich auch an grauen Wintertagen wünschen sich viele Menschen einen Aufenthalt auf „der Insel“. Einige träumen dann von einer kleinen Insel in der Südsee, andere vielleicht von Sylt und wieder andere von den Galapagos. Es sind also nicht nur weisse, einsame Strände, nach denen sie sich manchmal sehnen. Da steckt mehr dahinter. Das Wort Insel löst unterschiedliche Erinnerungen und Wünsche in Form von Bildern, Gerüchen, Geräuschen, usw. aus – auf jeder Insel eigene, auf jeder Insel andere.
Ich, die Insel
Ich werde allein geboren und sterbe auch allein. Nicht lustig und dennoch wahr. Alles was ich erlebe und träume, widerfährt nur mir. Nur in meinem Kopf, verknüpft mit meinen Gefühlen. Meine Erfahrungen (wie gerade jetzt das Lesen dieses Textes), Wünsche, Geschichten, Werte, Gefühle, Glauben, Sinn für Humor, Empathie, einfach alles. Jetzt. Ich. Und fertig. Schlimm? Keineswegs.
Das Leben kann als andauernde Tragödie und finale Einsamkeit erfahren werden, doch dagegen kämpfen wir meist sehr erfolgreich vom ersten Tag unseres Lebens an. Wir sind auf Mitmenschen angewiesen und haben intuitiv gelernt, wie man Beziehungsbrücken baut und das Umfeld manipuliert. Wir richten noch heute unser Verhalten nach Nutzen aus und bauen tragfähige Verbindungen, wo immer es möglich ist. Denn gute Beziehungen bereichern das Leben und sind eine Versicherung gegen das Vereinsamen.
Ich, der Anpasser
Ich kann mich Situationen und Menschen sehr gut anpassen, wenn ich darin einen unmittelbaren Nutzen sehe. Ich ziehe mich dem Wetter oder andern Umständen entsprechend an, je nach Ziel eines Gesprächs setze ich Wortwahl, Betonung und Körpersprache ein, ich imitiere die Laute von Babies und gähne an langweiligen Sitzungen mit andern mit. Ich habe viele Pfeile im Köcher und kann selbst entscheiden, welcher der Geeignetste ist.
Eine tragfähige Beziehung setzt Anpassungsfähigkeit von mindestens einer Seite voraus. Ein introvertierter Buchhalter kann nach getaner Büroarbeit beim Karatetraining während zwei Stunden mächtig draufhauen und später zuhause sein weinendes Kind trösten und ein Gute-Nacht-Lied singen. 100% authentisch, 100% angepasst. Er ist in allen Rollen echt und somit sich und andern nützlich.
Menschen, die von sich behaupten „Ich bin, wie ich bin“ stehen sich selbst in im Weg. Sie haben nicht begriffen, dass Anpassungsfähigkeit als Basis für sympathische Beziehungen etwas Wunderbares ist. Sie überlassen die Sympathie dem Zufall und ihrer Laune.
Ich, der Brückenbauer
Ich muss keine Brücken bauen. Ich kann, wenn ich will und es das Gegenüber zulässt. Rund 7.2 Milliarden Inseln gibt es heute auf unserem Planeten und jede ist „unique“. Brücken bauen heisst Verbindung aufnehmen, Verständigung suchen, mich mit Respekt für die Geschichte und Befindlichkeit meines Gegenübers interessieren, Bedürfnisse erkennen, Konsens suchen, Gemeinsamkeiten entdecken, kommunizieren.
Die Beziehungsbrücke ist ein temporäres Gebilde auf dem wir uns begegnen und die Kampfsportart „Kommunikation“ betreiben. Dabei ist es wichtig, Kommunikation als Aikido und nicht als Karate zu verstehen. Es geht nicht um Schlagfertigkeit und Zerstörung, es geht um Synchronisation und Konstruktion. Je mehr Parallelen, desto weniger Widerstand. Was ähnlich ist, ist sympathisch.
Bauanleitung
- Schenken Sie Ihrem Gegenüber volle Aufmerksamkeit
- Passen Sie Ihr Sprechtempo, Lautstärke und Körperhaltung an
- Stellen Sie sich wenn möglich seitlich oder sitzen Sie „über’s Eck“
- Wiederholen Sie hin und wieder „wichtige“ Wörter und ganze Satzteile des gegeübers
- Fragen Sie nach dem WIE, nicht nach dem WARUM
- Ersetzen Sie jedes ABER durch ein UND
- Ärgern sie sich weniger – wundern sie sich mehr.
PS:
Wer Brücken baut, kann sie auch zerstören. Eine Scheidungsrate von über 50% sagt Vieles, auch über unseren Freiheitsgrad.



