Jahrelang durfte ich für Radio Argovia Interviews machen. Und nun werde ich gefragt. Das fühlt sich gut an. Danke, André und Nicole!
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12. September – Der Anti-Jammer-Tag
Heute gibt es allen Grund, nicht zu jammern: Mein Buch „Jammern gefährdet Ihre Gesundheit“ kommt in die Läden und wird, wenn elektronisch bestellt, heute ausgeliefert. Juhuuu – ich deklariere den 12. September zum „Anti-Jammer-Tag“! International, national, regional, lokal oder individual: Egal. Hauptsache, mal mindestens einen ganzen Tag lang bewusst nicht jammern. Das ist immerhin schon mal für Viele ein Anfang. Klar – es gibt bedeutendere Tage. Den Welt-Aids-Tag am 1. Dezember oder den Valentinstag am 14. Februar und so. Doch was soll’s. Jetzt gibt’s vorsätzlich einen Zusätzlichen. Schliesslich sind wir alle hin und wieder mehr oder weniger gefährdet. Also los! Mit einer genügenden Portion Eigenverantwortung und ein bisschen Disziplin kann das 7-Tage-Entwöhnungsprogramm einiges bewirken. Die Beobachtungen, Anekdoten, Betrachtungen, Interpretationen, Literaturhinweise, Zitate, Verknüpfungen, Tipps, Anregungen und ein leicht schräger Test lassen sich locker lesen, sind verständlich und nachvollziehbar. Sie sollen anspornen, der inneren Motivation Nahrung geben und einfach mehr Auswahlmöglichkeiten bieten, das eigene Leben – wenn nötig – um zu gestalten.
Jammern – das erste Interview
Marc Jäggi, Morgenshow-Moderator bei Radio1, lud mich am 26. Juli zum ersten Interview ein:
Danke, Marc!
Wundern statt Jammern
Einverstanden – Papierkrieg ist ein passendes Synonym für unangemessene Administration. Es betrifft uns alle. Selbständige, Angestellte, Arbeitslose, Bauherren, Reisende, Vereinspräsidenten, Obsthändler, Bademeister, und was weiss ich… Nachweise, Rapporte, Daten, Statistiken, Urkunden – es ist zum Davonlaufen, es frisst wertvolle Zeit.
„Früher war alles einfacher“, wird landauf-landab gejammert. „Weniger Kontrollen, mehr Flexibilität, mehr Freiheit. Und heute? Wo führt das nur hin?“
Beruhigt euch, Leute. Früher war es überhaupt nicht besser, zumindest nicht vor 44 Jahren. Coole Gechichte hier, schaut her und hört auf zu jammern! Buzz Aldrin, der zweite Mensch auf dem Mond, hat letzthin ein wunderbares Zeitdokument schmunzelnd (ok – was in der Vergangenheit bejammert wurde, wird in der Gegenwart oft belächelt) auf Twitter publiziert. Nach der Landung mit der Apollo 11 Kapsel in den Gewässern vor Hawaii, mussten er, Neil Armstrong und Michael Collins ein Zollformular ausfüllen und die mitgebrachten Güter deklarieren:
Grossartig. Stellt euch den Zollbeamten vor: „Anything to declare?“ Hahaha! Was haben die Astronauten wohl gedacht, nach so einem gigantischen, ausserirdischen Erlebnis? Voll geerdet der Mann. Und das System hinter dem Mond. Hahaha!
Die Lösung liegt nicht in der Vergangenheit. Das Problem liegt beim gesunden Menschenverstand, der wegen sturer Prozesse, mangelnden Kompetenzen und fehlendem Vertrauen zum Erliegen kommt. Heute wie früher.
Der Ausweg? Man kann sich zum Beispiel mehr Wundern als Jammern. Und insgesamt freier Handeln wollen.
Sommerabend am See
Kurz nach Sonnenuntergang, nachdem die meisten Naturliebhaber den Heimweg angetreten haben, fahre ich guten Mutes mit dem flotten Velo meines Vaters zu meiner Lieblingsstelle am Türlersee, um vor der Nachtruhe noch eine Runde zu schwimmen. Perfekt – mein Plätzchen (3×1 Meter) ist frei, ich stelle mein Fahrrad hin und streife das T-Shirt ab. Die Badehose trage ich schon. Man denkt ja vor und nutzt diesen traumhaften Sommerabend möglichst effizient. Luft 26°, Wasser ebenso. Spoiled. Ich schwimme so 200 Meter gegen die Mitte des Sees. Eine Ruhe. Noch ein wenig Rückenlage und mit Blick zum leicht bewölkten Himmel mit den rosa Figuren das Glück spüren. Und wieder zurück. Easy. Kein Mensch. Das Badetuch habe ich vorsorglich (man denkt ja vor…) über der Querstange des Fahrrads bereit gelegt. Ich trockne mich ab und ziehe mich für die Heimfahrt um. Das heisst: Ich „möchte“ mich für die Heimfahrt umziehen.
Schon von Weitem höre ich ihre unsympathische, weil leicht hysterische, Stimme. Er, dürr und mittleren Alters, ist rund 30 Meter vor ihr an mir vorbei gegangen.
Sie: „Mathieu! Weshalb gehst du vorbei?“
Er: „Was?“
Sie: „Wir waren immer hier!“
Er: „Ah ja? Nein.“
Sie: „Doch, natürlich! Hier!“
Doch „hier“ stehe zur Zeit eben ich. Mit einem Fuß im warmen Schlamm wo es Spuren von Hunden, Menschen und Filp-Flops hat, mit dem andern etwa 40 cm erhöht, also unbequem, am steinigen Ufer. Das Badetuch locker um die Hüfte geschwungen und recht lächerlich wirkend, weil versuchend, mit spastischen Bewegungen die nasse Shorts von den dreckigen Füßen zu schütteln. Ein ungeeigneter Moment um so einen auf nette Vorstellungsrunde und: „Klar, kommt nur, es hat Platz, der See gehört allen!“, dabei meinend: „Shit, haut bloss ab, das ist zur Zeit mein Strändchen, hier schwimme ich.“ zu machen.
Sie gehen weiter. Universum sei Dank.
Nachdem ich zweimal draufgestanden bin grabe ich meine Badehose aus der lehmigen Pfütze, mache trotz allen Umständen ein freundlichem Gesicht und dann ein Selfie für meine Frau, bzw. für mich.
Sie kommen zurück. Verdammt. In der einen Hand das Handy und in der andern das schmutzig triefende Stück Wäsche versuche ich, sie zu ignorieren. Meine Unterhose liegt auf der andern Seite des Fahrrads auf dem feuchten Waldboden. Ich will nicht reden.
Sie: „Wir können ja die Sachen hier (Anmerkung: Rund 10 Meter entfernt, vermutlich der genetische Sicherheitsabstand) deponieren.“
Deponieren – super Wort. Wie im Militär. „Deponiert das Gepäck und die Waffen auf einer Linie! Marsch!“ Unschöne Bilder. Sie macht es vor, Mathieu folgt. Sie „deponieren“ ihre Habseligkeiten gut getarnt hinter einem Baum, denn man weiss ja nie… Ich überlege mir, ob ich vertrauenswürdig aussehe. Oder eher wie jemand, der Vollkornriegel und lauwarmes Rivella blau klaut? Was soll’s.
Sie kommt verkrampft lächelnd auf mich zu. Das Badekleid aus den Eighties, vermutlich vom Ackermann-Versand.
Sie: „Sind Sie fertig?“
Fertig? Fertig?! Wenn die wüsste, wie fertig ich wirklich bin.
Ich: „Ja, schön war’s. Sehr angenehm.“
Sie: „Ja, nicht wahr?“
Ich: „Doch, war.“
Sie lächelt schon wieder so blöd (als hätte sie einen Backenkrampf) und geht mit angewinkelten Armen zaghaft ins Wasser.
Sie: „Ha, so schön, so warm, da braucht man sich nicht mal zu benetzen!“
Hrrrgggghhhh…bitte…! Sie schwimmt endlich von dannen und verschwindet hinter dem Schilfgürtel. Durch den Fahrrad-Rahmen fische ich die Unterwäsche vom Boden und ziehe sie rasch an – fast ohne noch mit den Dreckfüssen alle Rändern zu berühren.
Mathieu kommt heran gewackelt. Im Gegensatz zu seinem Gesicht war ihres wie das eines entspannten Engels. Mathieu leidet extrem. Seine feuchten Füsse kennen das Leben bestimmt seit mehr 30 Jahren nur in gut eingetragenen Baumwollsocken und Schuhen, die dank praktischen Gummisohlen schön schützen und abfedern.
Er ächzt: „Allo!“
Ich: „Hallo.“
Fertig Dialog. Passt schon. Er stirbt ja fast, der Arme. Du meine Güte – was findet eine Frau an einem solchen Typen? Sieht ja nicht mal nach sozialer Absicherung aus, der Hungerhaken. Hoffentlich kriegen die nie Kinder. Haben die überhaupt Sex? Unschöne Vorstellung.
Er hat die Tortour überstanden und schwimmt auf sie zu. Er sieht aus wie ein Stück Treibholz.
Sie: „Mathieu! Sooo herrlich! Und so ruhig! Ich möchte im Sommer einmal nach Schweden.“
Er: „Warum?“
Sie: „Hmm – einfach so.“
Ich glaube, Mathieu versteht gar kein Deutsch. Oder die Frau nicht. Oder überhaupt nichts.
Ich jammere nicht. Ich radle dankbar nach Hause. Befreit und bereichert.
Der Herr hatte die ersten Zeilen
mit einer Feder geschrieben, drehte die Feder, um zu einer etwas dünneren Schrift zu kommen, Nun sah er das schwarze Teil der Feder, wie ein Käfer bewegte es sich im Schreibfluß über das Papier. Zu saugfähig, etwas zu saugfähig, das Papier, von dem er 2500 Seiten billig im Internetshop gekauft hatte. Federwechsel. Mit dem kleinen, leichten Füller, der feinen, zarten Schrift fühlte sich der Herr wohler. Und verbarg doch, was er hatte schreiben wollen. Noch vor 10 Minuten hatte er vor gehabt, das aufzuschreiben, noch nach dem Rasieren, immer mit dem elektrischen Apparat nach Gefühl erledigt, in den Spiegel sehend, um Rasierwasser auf zu klopfen. Auf Wangen und Hals aufklopfen, nicht einmassieren. Sein Vater hatte so geklopft. Morgens, als der junge Herr noch im Bett lag, weil er zur Schule erst später aufzustehen hatte. Fragte sich, weshalb der Vater klopfte. Vielleicht, weil Parfum aufzutragen keine männliche Sache war, als weiblich galt. Deshalb wurde Rasierwasser eingeklopft, in die Haut geschlagen.
Vor dem Spiegel hatte er sich dazu überredet gehabt, darüber zu schreiben. Nach einigem Hin und Her, nach einigen Diskussionen mit sich selbst. Er hatte sich mit dem Gedanken dazu überredet, daß den Text doch niemand lesen würde, außer ihm und daß er nichts zu verstecken brauchte. Noch im Bad, vor dem Spiegel war er ganz sicher gewesen, hatte den Text im Kopf, wußte exakt, wie es zu schreiben war, kannte jedes Wort. Dort, vor dem Spiegel waren es viele Worte gewesen. Als er aus dem Badezimmer gegangen war, um sich anzukleiden, gingen einige Worte verloren, auch auf dem Weg zum Schreibtisch. Und, als er schließlich am Tisch saß, die Morgensonne wärmte schon durch die Fenster, waren alle Worte weg.
Jämmerliche Politiker
Jeden Tag lächelt zur Zeit eine Politikerin oder ein Politiker aus meinem Briefkasten. Menschen, die um mich werben, weil sie später meine Interessen wahrnehmen wollen. Doch wie soll ich jemanden wählen, der nicht einmal den „Bitte keine Werbung“-Kleber respektiert? Der mein Bedürfnis nicht ernst nimmt?
Sie machen es mir einfach: Alle diese Flyers und Broschüürlis lege ich jetzt zum Wahlcouvert und werde genau darauf achten, dass deren Name NICHT auf meinem Zettel stehen wird.
Wir warten
Wir jammern über Gewalttaten, die im Namen eines Glaubens verübt werden. Der Glaube würde als Deckmantel für das Böse gebraucht, so ist zu lesen und wahrer Glaube brauche keine Gewalt. Wahrer Glaube reflektiere die Einsicht in das Richtige. Nur, was das Richtige sei, darüber besteht seit Jahrtausenden keine Einigkeit. Vielleicht spaltet die Frage nach dem Richtigen schon die Fragewelt in falsch und richtig, erzeugt also Uneinigkeit, Zank und Streit. Das wird dann wieder zur Glaubensfrage und das Spiel startet erneut. Wir können vor allem die Versuche bejammern, dieses selbst erschaffene Dilemma autoritär und mit Gewalt zu lösen. In unserem Jammer tun wir dann so, als seien diese Unwissenden, die sich gegenseitig abschlachten zu bedauern, wir jedoch wüssten, wie ES anders zu machen wäre. Wissen wir’s? Und, bringen wir unser Wissen morgen oder übermorgen zur Anwendung?
Ein jämmerliches Verkaufsgespräch
ICH: Guten Tag, ich habe eine Frage: Was ist der Unterschied zwischen dieser Sony Cybershot für 145 Franken und dieser ähnlich grossen Lumix für 445 Franken?
ER: Es ist ein ganz anderer Preis, eine andere Liga.
ICH: Ja, das sehe ich. Und was macht den Unterschied?
ER: Die Qualität.
ICH: Also was genau?
ER: Die Qualität der Fotos.
ICH: Und wie wirkt sich das aus?
ER: Hier hinten auf dem Display. Der Bildschirm der Lumix ist grösser.
ICH: Ach so. Und deshalb kostet die Lumix dreimal mehr?
ER: Nein.
ICH: Weshalb dann?
ER: Weil – wenn Sie die Fotos auf A4 ausdrucken, sind sie schärfer.
ICH: Ich drucke nie auf A4 aus.
ER: Trotzdem.
ICH: Beide bieten doch eine ähnliche Auflösung mit rund 18 Megapixel und ein optisches Zoom…
ER: Trotzdem. Die Lumix ist einfach besser.
ICH: Hmmm. Ok – dann nehme ich die Cybershot.
ER: Ich schaue, ob wir noch eine haben.
ICH: (warte)
ER: Wir haben keine mehr hier.
ICH: Schade.
ER: Es gibt nur noch dieses Ausstellungsteil.
ICH: Ah – und wie viel Rabatt gewähren Sie in dem Fall?
ER: Was Rabatt?
ICH: Einen günstigeren Preis, weil die Kamera nicht neu ist und Gebrauchsspuren aufweist.
ER: Nein, das machen wir nicht.
ICH: Schade.
ER: Wenn Sie sie jetzt kaufen…
ICH: Ja? Was dann?
ER: Dann packe ich sie jetzt ein.
ICH: Und geben mir einen Rabatt?
ER: Nein, das machen wir nicht.
ICH: Dann nehme ich sie nicht.
ER: Gut.
ICH : Was „gut“?
ER: Ich wusste nicht, was sagen.
ICH: Das habe ich die ganze Zeit gedacht.
ER: Was?
ICH: (schüttle den Kopf, lasse ihn in seinem weissen Hemd mit Namensschild stehen und gehe an die frische Luft)
Bad timing
Dieses Jahr ist Ostern zu spät. Ende April kommen doch keine Skifahrer mehr in die Berge!
Letztes Jahr war Ostern zu früh, weil Ende März zu nahe an den Sportferien liegt.
Es ist ein Jammer. Dabei könnte es doch so schön sein.